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Professionelle Handlungsmöglichkeiten bei Hate Speech

21.08.2025 - 5 Min. Lesezeit

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Portrait von Judith BühlerPortrait von Katja GirschikPortrait von Maria Kamenowski

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Frau tippt auf einem Laptop.

Soziale Arbeit kann Hassrede mit gezielter Gesprächsführung begegnen – viele Werkzeuge hierfür besitzt sie bereits. Am Projekt «Social Influencer*in» wird beispielhaft aufgezeigt, wie sozialarbeiterische Kommunikation bei Online-Aggression eingesetzt und wirksam werden kann.

Nebst vielen positiven Möglichkeiten bringt die Digitalisierung auch diverse gesellschaftliche Herausforderungen mit sich.1 Das algorithmisch individualisierte Internet mit seinen Vorauswahlmechanismen führt zu einer fragmentierten und polarisierten Öffentlichkeit. Algorithmen bestimmen dabei, welche Ausschnitte der digitalen Welt eine Person wahrnimmt und wie tief sie in welche Themenwelten eintaucht.2 Gemeinsame, identitätsstiftende Narrative werden seltener, stark polarisierende Meinungen werden verstärkt.3 Dies führt zu Phänomenen wie Hass, Diskriminierung, Desinformation und Verschwörungserzählungen und schadet der sozialen Integration bereits schon marginalisierter Gruppen wie zugewanderter Personen, rassifizierter Menschen, Frauen, behinderter Menschen und weiterer. Dies wirkt sich nachteilig auf die gesellschaftliche Kohäsion und die Demokratie aus.4

Die zunehmend aggressive Polarisierung im digitalen Raum mit dem Ziel der Exklusion, beziehungsweise des Silencing entlang von altbekannten Gruppenzugehörigkeiten wie Herkunft, Gender, Race oder Religion, stellt dabei einen aktiven Verdrängungskampf zuungunsten bereits von Diskriminierung betroffener Personen dar.

Hate Speech als Mittel zur Exklusion

Damit weist die Digitalisierung das Potenzial auf, gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit sowie Exklusion zu verstärken. Exklusion wird dabei als systematischer Ausschluss von Individuen oder Gruppen aus zentralen Lebensbereichen verstanden, welcher sich nachteilig auf die betroffenen Personen auswirkt.5

«Hate Spech», d.h. Online-Hassreden und -Kommentare, spiegelt bestehende gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit wider und trägt zu deren Normalisierung bei.6 Verstärkt durch still Mitlesende, die entsprechenden Online-Interaktionen folgen, hat Hassrede das Potenzial, die wahrgenommene Mehrheitsmeinung zu verzerren und dadurch die Meinungsbildung sowie das gesellschaftliche Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft negativ zu beeinflussen.

Rolle der Sozialen Arbeit

Nach Bommes und Scherr bearbeitet die Soziale Arbeit drei zentrale Aufgaben: Inklusionsvermittlung, Exklusionsvermeidung und Exklusionsverwaltung.7 Insbesondere im Rahmen der Exklusionsvermeidung, die die Soziale Arbeit zur Zurückweisung von Diskriminierung verpflichtet, hat sie ein Mandat, diesen Phänomenen professionell begründet und methodisch geleitet entgegenzuwirken. Jedoch stellen Online-Aggressionen wie Hate Speech und ähnliche digitale Phänomene eine besondere Herausforderung für sie dar und werden in der Profession bislang wenig thematisiert.8

Hassreden mit Counter Speech begegnen

Dabei kann die Soziale Arbeit auf vielfältige Methoden aus ihrer professionellen Tätigkeit im analogen Raum zurückgreifen, um Diskriminierung und der Verdrängung aus der digitalen Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Insbesondere Kompetenzen in Gesprächsführung und Kommunikation, die zentrale Werkzeuge der Sozialen Arbeit darstellen, bieten dabei Möglichkeiten, auf Hate Speech zu reagieren. Diese Vorgehensweise wird als «Counter Speech» bezeichnet.

An der ZHAW erarbeiten und erforschen wir derzeit mit dem Projekt «Social Influencer*in – mit wirksamer Gesprächsführung gegen Hass im Netz» verschiedene Counter-Speech-Methoden.

Mit aufsuchender digitaler Sozialer Arbeit gegen Hate Speech

Das Projekt «Social Influencer*in – mit wirksamer Gesprächsführung gegen Hass im Netz» setzt über drei Projektjahre hinweg auf aufsuchende digitale Soziale Arbeit, die Hate Speech im Netz durch methodengeleiteten Counter Speech begegnet. Hierfür werden angehende Sozialarbeitende in Schulungen ausgebildet, aggressive Sprechweisen einzuordnen und auf diese mittels Counter Speech zu reagieren. Unterstützt werden die Counter-Speecher*innen durch eine selbst entwickelte Browser Extension, welche sie im Suchen und Einordnen der Sprechweisen sowie in der Formulierung von Counter Speech unterstützt. Damit wird Hate Speech mittels einer eng verzahnten Mensch-Maschine-Interaktion bekämpft.

Im Fokus dieser Interventionen steht die Beeinflussung der stillen Mitlesenden, deren Haltung und Meinung ebenfalls durch Online-Aggression beeinflusst wird.9 Um diese Mitlesenden erreichen zu können, wurde das Konzept von Habermas’ Diskursethik integriert. Habermas versteht dabei die Öffentlichkeit als Netzwerk von Meinungen, und der Austausch dieser Meinungen erfolgt diskursiv über Argumente. Die Qualität der ausgetauschten Argumente sowie der kommunikative Umgang unter Andersdenkenden spielen dabei eine grosse Rolle.10

Im ersten Projektjahr 2024 wurden drei verschiedene Einmal-Interventionen genutzt und erprobt. Bei zweien dieser Methoden handelt es sich um etablierte bestehende Methoden (bM), um deeskalierend einzugreifen. Eine weitere Methode wurde durch das Projektteam selbst neu entwickelt (seM). Die Methoden werden nachfolgend kurz vorgestellt. Anhand von Beispielen wird erläutert, wie sie eingesetzt werden können, um Hassrede gegenüber Amerikaner*innen und der Abwertung der USA zu begegnen.

Empathie: Analoge Perspektivenübernahme (bM)

Empathie bedeutet, sich in andere hineinzuversetzen und deren Gefühle nachzuvollziehen. Der formulierte Counter Speech fordert Hassverbreitende auf, sich vorzustellen, wie ihr Kommentar Betroffene verletzt – mit dem Ziel, bei der Person selbst sowie den stillen Mitlesenden Mitgefühl für die von Hate Speech betroffenen Personen und Gruppen zu fördern.

Beispiel: «Wenn ich mir vorstelle, ich bin Amerikaner*in und würde diesen Kommentar lesen, dann würde er mich verletzen.»

Alternative Narrative (bM)

Alternative Narrative setzen nicht auf Konfrontation, sondern vermitteln positive Botschaften durch andere Arten von Narrativen als diejenigen, welche die hassäussernde Person verbreitet. Sie zielen darauf ab, bei den Lesenden Toleranz, Vielfalt und demokratische Werte zu fördern, ohne direkt zu widersprechen.

Beispiel: «Das ist die eine Seite der Medaille. Andererseits sind Pharmazeutika und Elektronik aus den USA sehr wertgeschätzte Produkte hierzulande.»

DiQu: Fokus Diskussionsqualität (seM)

DiQu besteht aus Bestandteilen der kooperativen Konfliktbewältigung sowie der kritisch-konfrontativen Gesprächsführung, welche um den Fokus auf die Diskursqualität nach Habermas (2009) und «menschlichere Kommunikation» durch Begrüssung und Verabschiedung ergänzt wurde. Ihr Ziel ist es, sowohl die hassäussernde Person selbst, als auch die stillen Mitlesenden respektvoll anzusprechen, und dabei die polarisierenden Äusserungen in einen sachlichen Kontext zu stellen.

Beispiel: «Hallo, ich habe gerade den Kommentar gelesen und möchte darauf reagieren. Ich bin auch der Meinung, dass leider oftmals die Qualität dem Profit untergeordnet wird. Dieses Problem würde ich aber lieber sachlich diskutieren, statt einer bestimmten Nationalität zuzuschreiben. En schöne Aabig.»

Unterschiedliche Wirkung je nach Methode

Im ersten Projektjahr entstanden knapp 3'000 Diskussionsverläufe. Daraus zogen wir eine Stichprobe und werteten diese aus. Dabei zeigte sich bei ersten Berechnungen, dass die Reaktionen auf die Interventionen der Counter-Speecher*innen eher selten, in 9.9 % der Fälle, Bezug auf den Counter-Post nehmen. Auch der weitere Diskussionsverlauf nimmt grösstenteils keinen direkten Bezug auf die Kommentare der Counter-Speecher*innen. In denjenigen Posts, welche auf den Counter Speech Bezug nehmen, stimmen diesem 17.7 % teilweise zu, und in 11.3 % der Reaktionen wird der Counter Speech unterstützt.

Um die Wirkung des geleisteten Counter Speech zu prüfen, wurde das Sentiment der Nachfolgeposts nach dem Counter Speech analysiert. Dabei wurde zwischen «respektlos-herabwürdigendem Verlauf», «neutral, tendenziell/subtil negativem Verlauf» und «neutral-sachlich, höflichem Verlauf» differenziert. Es zeigte sich, dass sich die Verläufe je nach Methode unterscheiden11:

Empathie: Analoge Perspektivenübernahme (bM)
Respektlos-herabwürdigender Verlauf: 28.5 %
Neutral, tendenziell/subtil negativer Verlauf: 46.4 %
Neutral-sachlicher, höflicher Verlauf: 25.2 %

Alternative Narrative (bM)
Respektlos-herabwürdigender Verlauf: 19.0 %
Neutral, tendenziell/subtil negativer Verlauf: 48.0 %
Neutral-sachlicher, höflicher Verlauf: 33.0 %

DiQu: Fokus Diskussionsqualität (seM)
Respektlos-herabwürdigender Verlauf: 27.5 %
Neutral, tendenziell/subtil negativer Verlauf: 39.4 %
Neutral-sachlicher, höflicher Verlauf: 33.1 %

Die Analysen deuten darauf hin, dass «Alternative Narrative» und «DiQu» am ehesten zu sachlicheren Reaktionen im weiteren Diskurs führten. Die im Projekt angewandten Methoden sind einfach zu erlernen und daher für einen vielfältigen Einsatz geeignet. Weitere Projektergebnisse sind im Bericht zum Projektjahr 2024 zu finden.

Aufsuchende digitale Soziale Arbeit wird weiterentwickelt

Das Projekt befindet sich nun mitten im zweiten Projektjahr. Dabei wurden die Interventionsmethoden weiterentwickelt. In der diesjährigen Durchführung werden nebst Einmal-Interventionen mittels des zuvor erläuterten Counter Speech auch öffentliche Gespräche mit ausgewählten interagierenden Hater*innen geführt. Wir sind gespannt auf die Evaluation dieser Entwicklung. Das Projekt zeigt, dass Soziale Arbeit zur Deeskalation auch im Netz möglich ist und analog erprobte Methoden der Profession sich auch – teilweise kombiniert und erweitert – in die digitale Arbeit integrieren lassen.

Autor*innen

Portrait von Judith Bühler

Judith Bühler

Institut für Delinquenz und Kriminalprävention

ZHAW Soziale Arbeit

Portrait von Katja Girschik

Katja Girschik

Institut für Delinquenz und Kriminalprävention

ZHAW Soziale Arbeit

Portrait von Maria Kamenowski

Maria Kamenowski

Institut für Delinquenz und Kriminalprävention

ZHAW Soziale Arbeit